Interview IHK 2017: „Mein deutscher Gesprächspartner ist fast vom Stuhl gefallen“

Interkulturell kompetent unterwegs in den Niederlanden

Prowise baut seit rund drei Jahren sein Kundennetz innerhalb Deutschlands stetig weiter aus. Hay Hutjens ist viel in Deutschland unterwegs und hat den einen oder anderen Unterschied zwischen beiden Völkern beobachtet.

Gibt es auch Ähnlichkeiten zwischen beiden Völkern? Mittlerweile schon, zumindest was mich und die Pünktlichkeit betrifft. Früher war es in den Niederlanden üblich, dass man 15 Minuten zu spät kommt. Das geht heute nicht mehr. Ich bin sogar in Deutschland – wenn ich eine längere Anfahrt habe – eine Stunde eher dort, um ganz sicher pünktlich zu kommen. Darüber hinaus sind beide Völker sehr direkt. Wobei ich sagen würde, dass die Niederländer manchmal zu direkt und konkret sind. Die Deutschen sind eher vorsichtig.

Was verbindet Sie mit Deutschland privat und geschäftlich? Ich habe in meiner Kindheit in Roermond, in der Nähe zur deutschen Grenze gewohnt. In den Niederlanden gab es zu diesem Zeitpunkt nur einen Fernsehsender. Die Deutschen hatten mehr und wir konnten sie dort auch empfangen. Später, in meiner Jugend, ging es immer nach Mönchengladbach oder Düsseldorf zum Vergnügen. Da haben wir das ein oder andere Bierchen getrunken. Geschäftlich bauen wir seit drei Jahren unser Netzwerk in Deutschland aus. Der Markt hat für uns ein sehr großes Potenzial. Dass ich aus meiner Jugend noch so gut Deutsch spreche, kommt mir da übrigens sehr gelegen.

Und welche Unterschiede gibt es? Den Deutschen sind akademische Titel sehr wichtig. Egal ob auf Briefpapier, auf Visitenkarten oder im persönlichen Gespräch: Der Titel wird immer genannt. In einer Unterhaltung wird die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auch immer beibehalten. Ebenso wird sich in Deutschland sehr lange gesiezt. Egal, ob man sich schon viele Jahre kennt. In den Niederlanden hingegen spielen akademische Titel keine größere Rolle und man ist direkt beim „Du“. Bei uns wird sich innerhalb einer Firma in der Regel auch geduzt. Ganz unabhängig von den Hierarchien, nennen sich der Geschäftsführer und der Auszubildende beim Vornamen. Wir sind schließlich ein Team. Ich finde, egal ob alt oder jung, wir sind doch alle gleich. Übrigens ist mir aufgefallen, dass man in der Region um Hamburg schneller ins Du übergeht als beispielsweise in Bayern. Deutsche gehen sehr gut vorbereitet in Gespräche. Sie sind verrückt nach Zahlen, Fakten und vor allem lieben sie Standards.

Am besten ist es, wenn etwas vom TÜV geprüft wurde und Produkte weltweiten Qualitätsstandards entsprechen. Da haben wir uns mit unseren Produkten angepasst, damit sie auch für Deutsche ansprechend sind.

Gibt es Besonderheiten im geschäftlichen Umgang mit den Deutschen? In Deutschland ist die Sprache Deutsch und bleibt es auch. Für uns als international agierendes Unternehmen ist das recht kompliziert und ein nicht unwesentlicher Kostenfaktor. Da sind sich die Deutschen und die Franzosen sehr ähnlich. Alle Präsentationen, Gebrauchsanweisungen und Kalkulationen müssen wir von einem Dolmetscher übersetzen lassen. In vielen anderen Ländern ist mittlerweile Englisch die erste Sprache im Berufsleben.

Wir Niederländer beginnen ein Gespräch zudem gerne mit Fragen nach der Familie und der Gesundheit, um ein gemeinsames Level zu finden. Der Deutsche geht direkt zu den geschäftlichen Themen. Ich hingegen bin an einer langfristig guten Geschäftsbeziehung interessiert. Denn den großen Gewinn macht man nicht in den ersten Wochen. Dazu ist eine persönliche Basis und Bindung sehr hilfreich. Die schaffe ich, in dem ich mir bei Gesprächen persönliche Dinge merke und notiere, zum Beispiel den Geburtstag meines Geschäftspartners oder seiner Frau. Wenn ich dann ein Jahr später gratuliere, freuen sie sich immer. Das schafft eine Verbindung. Ein letzter Unterschied ist die schriftliche Bestätigung. In den Niederlanden werden Termine meist mündlich abgesprochen. Die Deutschen möchten das immer per Mail machen.

Welche Fauxpas sollten einem im geschäftlichen Umgang nicht passieren? Fauxpas ist vielleicht zu viel gesagt. Aber ich erzähle im Gespräch gerne zwischendurch einen Witz. Durch die entstandene Gesprächspause verschaffe ich mir eine Ruhepause. In ihr kann ich über das Gesagte nachdenken und mir eine Antwort überlegen. Der Deutsche fällt aber vor Fassungslosigkeit – wie ich so etwas in einem professionellen Gespräch machen kann – fast vom Stuhl.

Was sollten sich die Niederländer von den Nachbarn abschauen? Vielleicht die Ruhe und die Gründlichkeit. Die Deutschen bereiten sich auf wichtige Entscheidungen sehr gut vor und nehmen sich ausreichend Zeit. In Angeboten müssen immer alle Einzelheiten aufgeführt werden, jedes Detail wird besprochen. Das dauert zwar erst länger, dann stehen Prozesse aber fest. Eine Absprache wird in Deutschland stets umgesetzt. Die Niederländer hingegen fangen mit etwas erst einmal an, dann schauen sie, wie es läuft und dann wird nachgebessert.

Sind sie schon einmal in ein Fettnäpfchen getreten, das Sie auf kulturelle Unterschiede zurückführen würden? Nein, nicht in ein Fettnäpfchen. Mir ist nur aufgefallen, dass es in Deutschland privat schwieriger ist, Kontakte zu knüpfen. In Kneipen kommt man beispielsweise in den Niederlanden direkt mit anderen Besuchern ins Gespräch. Das ist in Deutschland viel schwieriger. Wenn es aber zu einer Unterhaltung kommt, ist mir aufgefallen, dass die Deutschen sehr geschichtlich bewandert und interessiert sind. Sie wissen ganz genau, was wann und wo war und wie alles entstanden ist. Das finde ich gut.

Was assoziieren Sie mit Deutschland? Bier und Essen (lacht), Gemütlichkeit und Pünktlichkeit. In der Unternehmenskultur sind die Deutschen wesentlich formeller als die Niederländer. Auf die Deutschen wirken wir dadurch manchmal unprofessionell. Sie hingegen erscheinen uns ab und an als zu umständlich.

Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: „Ein Geschäft ist ein gutes Geschäft, wenn … es für beide einen Gewinn gibt – für jetzt und die Zukunft – auf Basis von Vertrauen und Professionalität.“

Hay Hutjens ist Manager für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Prowise in Budel/NL. Das Unternehmen produziert seit sieben Jahren große Touchscreen-Bildschirme für Schulen und Unternehmen. Durch sie werden Tafeln und Beamer ersetzt. In der Schule können beispielsweise mit ihnen Unterrichtsinhalte kabellos auf die Endgeräte der Schüler geschickt werden. Diese können die Aufgaben dann bearbeiten und dem Lehrer wieder zurückschicken. Ein weiterer großer Abnehmer innerhalb Deutschlands ist die Automobilindustrie. www.prowise.com

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